bis zum 18. Jahrhundert
Im Stadtrecht von 1292 wird Prostitution in Hamburg erstmals erwähnt. „Den gemenen wandelbaeren frouwen“ sei nur das Wohnen in bestimmten Häusern erlaubt, das Tragen einer „Hurentracht“ sei eine Pflicht, heißt es dort. Das Gewerbe gibt es hier also seit dem Mittelalter.
Bis ins 16. Jahrhundert, der Zeit der Reformation, wird sie geduldet – wenngleich nicht erlaubt.
17. Jahrhundert Nach der Reformation die wird die Prostitution in Deutschland, wo im Nachklang des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) die Syphilis grassiert, streng verfolgt und bestraft.
18. Jahrhundert
1732 erlässt der Prätor (Vorsitzender) der Hamburger Wedde (Sittenpolizei) ein neues Strafreglement für Prostituierte: Werden sie zum ersten Mal aufgriffen, drohen 14 Tage Arrest bei Wasser und Brot im Alten Turm. Im Wiederholungsfall wird die Haftzeit verlängert. Nach der Entlassung dürften sie die Stadt für zehn Jahre nicht betreten. Außerdem müssen sich die Delinquent*innen mit Hals-Eisen und Namensschild eine Stunde am Schandpfahl am Neuen Pferdemarkt zur Schau stellen. Bordellwirte stellt man ebenfalls an den Pranger und verweist sie „auf ewige Zeit“ der Stadt.
1797 wurde die „Hurentracht“ abgeschafft.
Ab 1789 flüchten während der Französischen Revolution viele wohlhabende Emigranten nach Hamburg. Eine Folge ist die Zunahme an gehobenen „Mamsellenhäusern“, wie die teils luxuriösen Bordelle im Volksmund genannt werden. Manche dieser Etablissements sind mit Seidentapeten und teuren Teppichen ausgestattet.
19. Jahrhundert
1805 verzeichnet Hamburg eine Reihe an tolerierten „Freudenhäusern“, z.B in der Straße An den Hütten, an der ABC-Straße, am Dragonerstall (alle in der heutigen Neustadt).
Auch in den Vorstädten siedeln sich Bordellbetriebe an.
1806 besetzen französische Truppen Hamburg und führen u. a
1807 regelmäßige Untersuchungen Prostituierter auf Geschlechtskrankheiten ein, wie sie in Frankreich seit 1795 vorgeschrieben – und v. a unter den französischen Soldaten weit verbreitet sind. ist. Dazu müssen die Frauen alle acht zum „Ratschirurg“, der kein Arzt, sondern aus der Zunft der Barbiere und Wundärzte ist.
Damit beginnt die staatliche Reglementierung der Prostitution
Ab 1818 müssen sich „Freudenmädchen“ registrieren lassen.
1833 sind in Hamburg offiziell 569 Prostituierte in 113 Bordellen gemeldet, dazu 120 Frauen in 18 Bordellen in der Vorstadt St. Pauli. Eine Anzahl, die den Senat dazu veranlasst,
1834 ein Regulativ zu erlassen: Zum Betreiben eines Bordells braucht man nun eine Konzession.
Dazu werden die persönlichen Freiheiten Prostituierter eingeschränkt. So ist ihnen der Zutritt des 1. und 2. Ranges im Stadttheater untersagt. Außerdem werden die Frauen zu Abgaben an die Stadt verpflichtet.
Die Bordellwirte und -wirtinnen aber unterwerfen die bei ihnen eingeschriebenen Prostituierten besonderen Zwänge. Die Frauen ihnen faktisch ausgeliefert: Sie müssen die Hälfte ihres Erwerbs für Kost und Logis abtreten, die andere Hälfte wird zu Tilgung von Schulden abgetreten. Die Schulden kommen zustande, weil die „Herbergsväter“ und „-mütter“ monatliche Ausgaben für Kleidung und Toilettenartikel übernehmen, die Höhe aber willkürlich und unkontrolliert bestimmen. Am Ende stehen die Prostituierten nicht selten mit 1000 Mark in der Kreide. Zum Vergleich: Ein Handwerker verdiente rund 500 Mark im Jahr.
Möglichkeiten, diesem System zu entrinnen, gibt es kaum. Eine Heirat setzt einen Freikauf für 75 bis 150 Mark und die Gehemigung der Stadt voraus, eine Flucht gelingt nur in seltenen Fällen.
1847 erlässt August Christian Meier, Patron der Vorstadt St. Pauli ein 22 Punkte umfassendes
„Regulativ für die Bordellwirte und eingezeichneten Mädchen in der Vorstadt St. Pauli“
Es ist das erst Mal, dass Hamburgs „Freudenmädchen“ Rechte bekommen. So dürfen künftig von den Bordellwirten und -wirtinnen nicht mehr als 150 Mark Miete verlangt werden. Über die Ausgaben für Kleidung und Kosmetik muss nun einzeln Buch geführt werden, um willkürlich festgelegte Wucher-Pauschalen zu verhindern.
Der „Beischlaf mit einem nicht genehmen Manne“ darf nicht mehr erzwungen werden, außerdem bekommen „die Mädchen das Recht, jede Woche wenigstens einmal einige Stunden auszugehen (…).“ Auch eine regelmäßige medizinische Untersuchung auf Geschlechtskrankheiten wird festgeschrieben.
1852 wird im Bremer Reglement festgelegt, dass „die Prostitution kein Gewerbe im eigentliche Sinne ist.“ Damit wird die „Sittenwidrigkeit“ des „unlauteren Gewerbes“ juristisch verankert.
Bis zur Gründung des Deutschen Kaiserreiches gibt es in Deutschland keine einheitlichen Reglementierungen der Prostitution. Das ändert sich mit der Reichsgründung
1871. Die Gesetze werden nun vereinheitlicht. Prostitution ist nur derjenigen gestattet, die sich als „Kontrolldirne“ bei der Polizei registrieren – und von der Polizei kontrollieren lässt. Das bedeutet auch, sich innerhalb von drei Tagen nach der Registrierung eine Unterkunft in einem Bordell aufweisen zu können, außerdem sich zweimal wöchentlich von einem Polizeiarzt untersuchen lassen zu müssen.
Den registrierten Prostituierten ist es verboten, sich nach 23 Uhr abends ohne männliche Begleitung außerhalb ihrer Wohnung aufzuhalten. Wollen sie ohne Aufsicht ausgehen, brauchen sie die Erlaubnis des/der Bordellwirten -in.
Wer sich nicht meldet, wird als „heimlich Prostituierte verhaftet und bestraft.“ Dabei entscheidet die Sittenpolizei, welche Frauen sich „verdächtig“ benehmen und zwangsmäßig in polizeiliche Kontroll-Listen eingetragen werden. Um von einer solchen wieder gestrichen zu werden, braucht es eine Heirat oder einen festen Arbeitsplatz.
1876 wird dieses Gesetz verschärft. Es bleibt bis ins 20. Jahrhundert aufrecht.
20. Jahrhundert - Weimarer Republik
Nach Ende des Kaiserreichs kämpfen die Sozialdemokraten der Weimarer Republik für die Auflösung des Bordellwesens. Mit an ihrer Seite: Abolitionisten*innen und Frauenverbände, die Prostitution nicht als „notwendiges Übel tolerieren wollen“, sondern eine Lösung des „Problems“ durch Erziehung zu einem „sittlichen Leben“ und Fürsorge anstreben. In ihren Kampagnen geht es vor allem um das Unterbinden des internationalen Mädchenhandels, dessen Drehscheibe Hamburg mit dem Hafen als „Tor zur Welt“ ist.
Not und Existenzkämpfe treiben viele in den wirtschaftlichen Krisenjahren der 1920er in die Prostitution. Ihre hohe Anzahl lässt jene Stimmen, die eine Neuregulierung des Prostitutionswesens anstreben, lauter werden.
1921 fordert auch der Reichstag die Schließung der Bordelle auf Basis des §180 StGB, dem sogenannten „Kuppelei-Paragraphen“. Dieser gilt seit 1871 und stellt die Förderung und Tolerierung außerehelichen Geschlechtsverkehrs unter Strafe. (In dieser Fassung gibt es den §180 StGB in der DDR bis 1968, in der BRD bis 1969)
Hamburg unterstützt diese Forderung nicht nur, sondern prescht mit eigenen Maßnahmen vorweg:
1922 beschließt der Senat die schrittweise Schließung der Hamburger Bordelle sowie die Auflösung und Umbenennung der Bordellstraßen. Die Prostituierten können sich nun frei in der Stadt bewegen und auch auf offener Straße anschaffen gehen. Wegen der allgemeinen Wohnungsnot- und weil sie nicht mehr im Bordell wohnen können, mieten sich viele bei Familien ein.
Bald regt sich in Bevölkerung und Politik der Unmut gegen „solche Zustände“ – und die „Kommunen reagieren mit unterschiedlichen Modellen (…), bis
1927 ein Gesetz in Kraft (tritt), das für die Regulierung und Kontrolle der Prostitution in Deutschland bis in die 1950er Jahre hinein bestimmend sein sollte: das
Reichsgesetz zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten (RGBG).“ (Robert Sommer, KZ-Bordell, S.33)
Ziel dieses Gesetzes ist, die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten durch medizinische, hygienische, erzieherische und Fürsorge-Maßnahmen einzudämmen. Im Mittelpunkt allerdings steht die Bekämpfung der Prostitution.
Durch das neue Gesetz ist Prostitution keine rein sittenpolizeiliche, sondern auch eine Angelegenheit des Gesundheitsamtes. Wer der Prostitution nachgeht, ist zur ein bis zweimaligen Untersuchung pro Woche verpflichtet und wird im Falle des Nichterscheinens polizeilich vorgeführt.
Anstelle der „gewerbsmäßigen Unzucht“ ist nun die „Aufforderung oder Anbieten zur Unzucht“ strafbar – was nun alle Frauen meint, die sich „Anstand und Sitte verletzenden Weise“ präsentieren.
Liegt aus Sicht der Sittenpolizei ein solches Verhalten vor, gilt die/der Aufgegriffene als „Person häufig wechselnden Geschlechtsverkehrs“ („hwG- Person“) und wird als solche in Listen der Gesundheitsbehörden erfasst.
In Hamburg übernimmt die Fürsorgestelle G diese Aufgabe und führt eine zentrale Kartei, in der sämtliche Fälle von Geschlechtskrankheiten registriert sind.
20. Jahrhundert - Zeit des Nationalsozialismus
In „Mein Kampf“ nennt Hitler Prostitution eine „Schmach der Menschheit“, die es abzuschaffen gilt – dazu kommt es aber während der gesamten NS-Zeit nicht.
Der Umgang mit Prostitution ist in den ersten Jahren auch nicht einheitlich, sondern von verschiedenen, auf lokaler Ebene ergriffenen Maßnahmen gekennzeichnet.
Am 16. Mai 1933 macht die NS-Reichsregierung durch eine Gesetzesänderung die „faktische Straflosigkeit der Prostitution rückgängig“. Prosituierte werden erneut in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, die Polizei bekommt einen größeren Handlungs- und Ermessungsspielraum. Doch komme es zunächst zu keiner umfangreicheren Änderung des 1927 erlassenen RGBG – z. B zur Wiedereinführung von Bordellstraßen – obwohl dies von vielen gefordert wird.
Doch Hamburg handelt eigenmächtig:
1933 wird dort die Kasernierung Prostituierter in polizeilich kontrollierten Bordellstraßen wieder eingeführt. Fünf Straßen werden dafür vorgesehen: Die Winkel- und Mauerstraße und der Kalkhof (alle in der Neustadt), der Grützmachergang in St. Georrg – und die Herbertstraße in St. Pauli. Es kommt verstärkt zu Razzien gegen Prostituierte; Hunderte werden auf der Straße aufgegriffen und zumindest für einige Tage in „Schutzhaft“ genommen.
Die gesetzliche Grundlage dafür liefert die
28.Februar 1933 erlassene „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“.
Auch die Gesundheitskontrollen werden verschärft – nun ist es Pflicht, sich zweimal pro Wochen am Gesundheitsamt auf Geschlechtskrankheiten untersuchen zu lassen.
1935 gibt es in Hamburg wieder Kontrollbücher für Prostituierte, außerdem wird den Frauen der Aufenthalt an bestimmten Orten untersagt und der Polizei das Recht eingeräumt, jederzeit in die Privatwohnungen der Frauen einzudringen. Ob zu Hause oder auf der Straße; die Frauen wurden überwacht und bei Fehlverhalten bestraft: Vier Wochen Haft gibt es beim ersten, bis zu zwei Jahren bei weiteren Verstößen.
1937 tritt der Grunderlass der „vorbeugenden Verbrecherbekämpfung“ in Kraft. Prostituierte können nun nach dreimaliger Übertretung der Gesetze in Besserungs-oder Arbeitshäuser – oder in Konzentrationslager eingewiesen werden.
19. Jahrhundert
1806 begann mit der Besetzung Hamburgs durch französischer Truppen eine Blütezeit für die Bordelle in- und rund um die Davidstraße. Während die Wirtschaft bankrott ging, weil Napoleon den Handel mit England verbot, verhalfen seine Soldaten zumindest dem Gewerbe zu einer Hochkonjunktur, aus der regelrechte „Großbordelle“ hervorgingen – darunter das Gasthaus „Zu den Vier Löwen“ in der Davidstraße Nr. 8.
1814 rückten die Franzosen mit einem „finale Furioso“ aus Hamburg ab: Zugunsten eines freien Schussfelds rund um die Festungsanlage, brannten sie sämtliche Vororte, darunter auch den Hamburger Berg, nieder.
1815 waren die Häuser der Heinrich-, David- und Erichstraße, des Silbersack und Wilhelmsplatz (dem heutigen Hans-Albers-Platz) wieder aufgebaut, binnen fünf Jahre galt der Wiederaufbau als abgeschlossen – von nun an galt es, „auszubauen“, denn Hamburg wuchs rasch – und so auch seine Vorstadt.
1816 legte das erste Dampfschiff in der Gegend der heutigen Landungsbrücken an – und legte gleichsam als „Nebeneffekt“ einen Grundstein für den wirtschaftlichen Aufschwung des Hamburger Berges. Vor allem die Betriebe südlich der Davidstraße profitierten von der kurzen Strecke zum Dampfschiff-Anleger – ebenso wie die Matrosen, die von dort aus auf Landgang gingen. Das Prostitutionsgewerbe hat Hochkonjunktur…
1833 wurde aus dem Hamburger Berg die offizielle Vorstadt St. Pauli – was zur Folge hatte, dass die Prostituierten nun den gleichen Regeln unterworfen waren, wie in Hamburg – wie z. B dem Verbot, sich tagsüber auf der Straße aufzuhalten.
In den darauffolgenden Jahrzehnten vollzog sich auf St. Pauli der Wandel von einer kaum bebauten Vorstadt zum urbanen, dicht besiedelten Hafen- und Arbeiterstadtteil und gut besuchten Amüsierviertel – mit einem ebenso stark frequentierten Straßenstrich.
Ab 1880 verstärkte die Stadt ihre Bemühungen, die „grassierenden, sittenwidrigen Umtriebe“ einzudämmen und besser kontrollieren zu können. Ein Resultat:
Ab 1900 erhielten auf St. Pauli nur noch die Bordelle in der Heinrichstraße eine Konzession.
20. Jahrhundert
1901 existierten hier offenbar nicht nur konzessionierte Freudenhäuser: In den Adressbüchern finden sich zu den zahlreichen Witwen, die vielleicht als Wirtschafterinnen tätig waren, als „Tür-an-Tür-Nachbarn“ z.B in der Nummer 4 ein Händler, in der 7 (Hof) ein Heizer, ein Elektriker und ein Schauermann, in der 16-18 eine „Cigaretten-Handlung“ und in der 23 ein „Bier-Verlag“ (=Getränkegroßhandel)
1914 wurde das neue Gebäude der Davidwache eingeweiht. Als besonderen Fassadenschmuck erhielt sie steinerne Wachmannköpfe (Entwurf: Richard Kuöhl) an der Seite zur Davidstraße – von wo aus sie in die „Rotlicht-Ecke“ St.Paulis blicken.
Nach 1918 schwoll die Zahl der Prostituierten erneut sprunghaft an. In den Jahren der Wirtschaftskrisen und Inflation wurden viele erwerbs- und brotlos und deshalb geradezu gezwungen, auf den Strich zu gehen. Die staatliche Obrigkeit hingegen sah darin aber eher eine „Gefahr“ für „Sitte und Moral“, als ein soziales Problem, das es zu beheben galt.
Am 17. Juli 1922 wurde aus der Heinrich- die Herbertstraße.
Die Umbenennung war als Zeichen eines Neuanfangs gedacht – und Teil eines Gesamtkonzepts: Die Bordell- sollten wieder zu Wohnstraßen, und die Freudenhäuser vertrieben werden. Durchgefochten wurde die Aufhebung der Bordelle von Sozialdemokraten und Frauenrechtlern der Abolitionisten-Bewegung in deren ‚Kampf gegen die Unmoral‘.
1933 erhielt die Herbertstraße ihre Sichtblenden – auf Anordnung der NS-Machthaber, um das „sittenwidrige Geschehen“ und die weiblichen „asozialen Elemente“ aus dem Sichtfeld Öffentlichkeit zu verbannen. Verboten wurde die Prostitution nicht, wer sie aber ausübte, lief ständig Gefahr, als „kriminell“ interniert zu werden. Mehr als 1.500 Frauen wurden während der NS-Zeit in Schutzhaft genommen.
Nahezu unbeschadet überstand die Herbertstraße schwere Luftangriffe auf Hamburg im Juli 1943. Einzig das Haus Nr. 7 (im Hof) wurde ausgebombt.
Nach 1945 trieb die Not viele in die Prostitution. Von einem „Aufschwung“ konnte in den ersten Jahren nach Kriegsende aber kaum die Rede sein – denn oft genug gab es den „Liebesdienst“ für Lebensmittel.
In den 1950ern, der Zeit des sogenannten „Wirtschaftswunders“, standen die „Männer wieder Schlange vor der Herbertstraße. Bei Schichtwechsel wurde die Lohntüte -ratsch- aufgemacht, erstmal ein Fuffziger gebunkert, von dem Mutti daheim nichts wusste – und dann: nix wie rin in die Herbertstraße“, erzählte eine betagte Kollegin der Hure Domenica in den 1980ern. „Die Mädchen saßen damals noch zur dritt im Fenster – und nicht etwa in Dessous, sondern ganz adrett im Kostüm oder Abendkleid. (…)
Bis Mitte der 1960er Jahre durften sich die Damen auch nicht öffentliche zeigen, sondern mussten sittsam hinter weißen Vorhängen sitzen. Aber natürlich haben wir uns nur daran gehalten, wenn der Chef der Sitte hier durchkam, dann ging das überall ‚Pst! Pst’ – und dann flogen die Gardinen zu.“
Zu dieser Zeit wurde die Herbertstraße für den Film „entdeckt“:
1967 drehte der Hamburger Regisseur Jürgen Roland für den Film „Polizeirevier Davidswache“ (in diesem Fall mit ‚s‘) hier einige Szenen mit den Mädchen in ihren Schaufenstern. Auch Innenaufnahmen mancher Bordelle sind zu sehen – sie zeigen steile, hölzerne Treppen, schmale Gänge und kleine, veraltet möblierte Zimmer- ausgestattet mit einem Waschbecken, jedoch ohne Bad. Warm wurden die Räume nur gegen Vorkasse: Um sie beheizen, musste ein Münz-Gaszähler mit einer Mark pro Stunde gefüttert werden. Mit modernem Komfort konnten die Betriebe der Herbertstraße nicht punkten – den gab es bei „der Konkurrenz“ an der Reeperbahn, im 1967 fertig gestellten Laufhaus Eros Center.
In 1970ern zogen die „verbotenen Reize“ der Herbertstraße nicht nur Freier, sondern auch schaulustige Besucherinnen scharenweise an. Um ungestört ihrer Arbeit nachgehen zu können, versah die Polizei auf Bitten der Prostituierten die Sichtblenden mit dem bis heute existierenden Hinweis: „Zutritt für Frauen verboten“.
Ab 1972 arbeitete die Kölnerin Domenica Anita Niehoff ( 3.8.1945-12.2.2009) in der Herbertstraße; zunächst im Haus 10, ab den 1980ern im Haus 7b, das sie gepachtet hatte. Ihr Freund und Wegbegleiter, Kiez-Fotograf Günter Zint erinnert sich, dass „ in diesem Haus viele lustige Partys gefeiert wurden. Prominente gaben sich die Klinke in die Hand. Gloria von Thurn und Taxis kam und einen späteren französischen Minister traf ich dort zusammen mit (dem Künstler) Tomi Ungerer. 1985 wohnte Ungerer mehrere Wochen lang in Domenicas Haus, hier auch entstand sein Buch ‚Schutzengel der Hölle’.“
1980 berichtete die „prominenteste Prostituierte der Bundesrepublik“ der Buchautorin Fee Zschocke vom Leben und Arbeiten in der Herbertstraße. Es sind ausführliche und lebendige Schilderungen aus dem Munde einer St. Pauli-Ikone die hier in O-Tönen wiedergegeben ist:
„Jedes Haus in der Herbertstraße hat seinen eigenen Charakter. Da gibt’s Häuser, das knallt den ganzen Tag die Musik, dann gibt’s Häuser, da trinken die Frauen ein bißchen viel, in einem anderen ist die Chefin etwas ‚eingenartig‘. In der 22 sind viele ‚Freundschafts-Frauen‘, weil die Pächterin, eine bildhübsche Blondine, Männer allenfalls in Form von Freiern akzeptiert.
Und die 6 hat eine Rarität zu bieten – eine richtige ‚Sklavin‘, ein Mädchen, das auch privat darauf steht, sich schlagen zu lassen. Das älteste Haus ist die 27,Das gemütlichste die 10, sie ist noch ein schöner, alter, plüschiger Puff.Das eleganteste Haus ist die 20, braungebeizte Fassade, Mahagoni-Fensterrahmen, kupferglänzende Markisen. Es gehört, wie die 8, den Luden der sogenannten ‚GmbH‘ – und die haben sich den Umbau was kosten lassen. Früher war die 20 so ein verkommenes Hexenhaus wie Hof 7, wo einst die Alten, Abgewrackten, Vertrunkenen ihr Gnadenbrot verdienen durften – wie Kiki, einst Star-Frau der Herbertstraße, die heute noch im Suff ihre Glanzzeiten heraufbeschwört. Sie muss mal eine sehr schöne Frau gewesen sein.
Unser Haus (Hof 7b) – das einzige, das im Krieg ausgebombt wurde – nimmt einen besonderen Rang ein in der Hierarchie der Herbertstraße: Hier arbeiten nur zwei Frauen, die einen Zuhälter haben.
Sie hat ihre ganz speziellen Stimmungen, die Herbertstraße: Im Winter, bei Schnee, ist es hell und eigentümlich lautlos hier, und die erleuchten Fenster wirken warm und einladend. Ein paar rotnasige Typen mit Riesen-Teddys vom Dom stapfen durch. Schön ist auch, wenn der Nieselregen fällt und sich das rote Neonlicht auf den feuchten Pflastersteinen spiegelt. Nur am Tag wirkt die Straße grau und nüchtern. Erst in der Dämmerung, wenn die Laternen aufflammen, entfaltet sich der alte, ordinäre, abgetakelte Zauber der Puff-Straße.“ (Aus: Fee Zschocke, Andrej Reiser: Domenica und die Herbertstraße. Hamburg, 1980. S. 38-39, S. 50ff.)
Mitte der 1980er Jahre hatte die AIDS-Welle das Gewerbe in eine schwere Krise gestürzt. Aus Angst blieben viele Freier fern- und mit ihnen die finanziellen Einnahmequellen.
Häufig erschwerten Demonstrationen unter massivem Polizeiaufgebot den Zugang zur Herbertstraße, denn in der benachbarten Hafenstraße tobte der Kampf „Staat gegen Hausbesetzer“.
1990 stieg Domenica aus dem Gewerbe aus, widmete sich sozialen Projekten und warb als prominente Leitfigur für die rechtliche Gleichstellung ihres Berufsstandes.
2002 trat das „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten“ in Kraft. Seither hat auch diese, lange diskriminierte Berufsgruppe einen Anspruch auf Arbeitsverträge und Lohn sowie einen Zugang zu Kranken-, Renten-, Arbeitslosenversicherung. Diese Rechte wahrzunehmen, ist für jede Frau verpflichtend, die in der Herbertstraße ihre Dienste anbietet.
2009 starb Domenica Niehoff. Hunderte begleiteten sie auf ihrem letzten Weg, der den Trauerzug auch durch die Herbertstraße führte.
2013 demonstrierten neun Femen-Aktivistinnen medienwirksam vor den Sichtblenden der Herbertstraße gegen die sexuelle Ausbeutung von Frauen. Auf den Metalltoren hinterlassen sie die Aufschrift „Arbeit macht frei“.
2020: Nach Ausbruch der Corona-Pandemie, waren auch die Bordelle im Lockdown und zu monatelangen Schließzeiten gezwungen. Für die Prostituierten herrschte de facto ein Berufsverbot, das noch dazu länger aufrecht blieb, als für andere sogenannte ‚körpernahe Dienstleistungen‘. In dieser Krisenzeit organisierten sich Prostituierte und Bordellbetreiber zum ‚Sexy Aufstand Reeperbahn‘ und engagierten sich in gemeinsamen Aktionen für die Öffnung ihrer Betriebe.
Am 14. September 2020 feierte die Herbertstraße ihre „Wiederinbetriebnahme“ mit einer Kunstaktion, organisiert von ‚Sexy Aufstand Reeperbahn‘. Zu diesem Anlass öffneten sich die Metalltore für die Allgemeinheit und Bezirksamtsleiter Falco Droßmann enthüllte ein Gemälde, auf dem die Künstlerin Maaike Dirkx die Mitglieder des „Sexy-Aufstands“ verewigt hatte.
Am 10. Juni 2021, einen Tag bevor die Prostitution nach einem neuerlichen Corona-bedingten Lockdown in Hamburg wieder erlaubt wurde, wurde die Herbertstraße zur Ausstellungsfläche im öffentlichen Raum.
Im Oktober 2022 wurde mit Musik, Führungen und Kunstaktionen der Umbenennung der Heinrich- in die heutige Herbertstraße vor 100 Jahren gedacht.
Angesichts des dabei erneut offen zu Tage tretenden Mangels einer Info-Tafel an den beiden Sichtblenden, die über deren Zweck und Aufstellungsjahr Auskunft geben, beschloss St. Pauli-Pastor Sieghard Wilm, einen Arbeitskreis ins Leben zu rufen, um die Herbertstraße insbesondere zur NS-Zeit zu beleuchten. Dabei sollen auch die Lebenswege jene Frauen nachgezeichnet werden, die als Prostituierte zu Opfern des NS-Staates wurden.
Seit April 2024 stehen die beiden Sichtblenden der Herbertstraße unter Denkmalschutz.
Am 9. August 2024 ließ das Bezirksamt Mitte auf Initiative des St. Pauli-Pastors Sieghard Wilm und des Lebendigen Kulturerbe e.V. eine Gedenkschwelle für Prostituierte Opfer des NS verlegen.
Ein Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der Geschichte der Herbertstraße und jener Menschen, die hier arbeiteten und lebten, ist seither im Gange.
Schluss und Quellen
Zum Schluss sei noch gesagt, dass
dieser Text bis dato ein grober Überblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit ist. Diese Chronik wird laufend ergänzt.
Eva Decker, (3.Textfassung: 1. Juni 2021. 1. Überarbeitung: 24. August 2022, 2. Überarbeitung: 10.10.2024)
Quellen und Literatur:
Thomas Volgmann: Universal-Stadtführer. Hamburg, 2021. S. 28. (Unveröffentlicht)
Ernst Heinrich Wichmann: Der Hamburger Berg. Vorstadt St. Pauli. Hamburg, 1879, S.11 und S. 14.
Hans-Günther Freitag: Altona. Hamburgs schöne Schwester. Geschichte und Geschichten. Hamburg, 1991. S. 68.
St. Pauli Museum (Hg). Eva Decker: Domenica. Ein Leben, das nicht reichte. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung 1. April -30. Juni 2011 im St. Pauli Museum, Davidstraße 17.
Hamburger Adressbücher 1901-1922, 1925-1943. www.agora.sub.uni-hamburg.de.
Carl Thinius: Damals in St. Pauli. Lust und Freude in der Vorstadt. Hamburg, 1975.
Tomi Ungerer: Schutzengel der Hölle. Zürich, 1986.
Josef Hekscher: Das ‚Panorama einer Reise von Hamburg nach Altona und zurück‘ von Peter Suhr. Berlin, 1909.
Ortwin Pelc: Der sündige Stadtteil. Der Ruf St. Paulis und seine Entstehung. In: Gisela Jaacks (Hg.): Hamburgs Geschichte. Mythos und Wirklichkeit. Hamburg, 2008.
www.sexy-aufstand-reeperbahn.de
Matthias Schmoock: Herbertraße. In: Franklin Kopitzsch, Daniel Tilgner (Hg.): Hamburg Lexikon. Hamburg, 1998. S. 237, Sp. 1 u. 2.